Mobile Menu

IMG_0221

Hundeschlittenfahrt in Grönland: Ganz in Weiß im Eis

Der Klimawandel bedroht die Kultur der Inuit. Zwei Grönländer versuchen, die Traditionen des Volkes in die Moderne zu retten. Sie fahren Hundeschlitten. Dabei nehmen sie Touristen mit.

Manchmal veranstaltet Egon Broberg auf seinem Arbeitsweg ein Rennen mit seinen Kollegen: Wer zuerst den Berg erklimmt, die Schneefelder passiert, das Schneemobil im Nebel entdeckt und damit die letzten Meter hoch auf den Gipfel braust. Wer zuerst die Hunde begrüßt, die kläffend an ihren Ketten ziehen – der hat gewonnen. Gut ist, wer weniger als eine Stunde braucht, dafür müssen sie rennen.

Er liebe seinen Arbeitsweg, sagt Broberg, und seine Arbeit. Der 50-Jährige ist Hundeschlittenfahrer. Früher, sagt er, sei das eine Lebensweise gewesen und kein Beruf. Die meisten Grönländer haben sie längst aufgegeben. Broberg fährt Touristen mit seinem Schlitten, sogar im Sommer, wenn das Eis im Rest des Landes getaut ist: Auf dem Lyngmark-Gletscher, der 720 Meter hoch über der berühmten Disko-Bucht an der Westküste des arktischen Landes thront.

Für viele Generationen waren Hundeschlitten eine Überlebensstrategie. Fror das Meer im Winter zu, blieben sie das einzige Fortbewegungsmittel. Inuit gingen damit auf Jagd, fuhren auf das Meer hinaus, um Löcher ins Eis zu schlagen und darin zu fischen. Sie transportierten ihr Habe auf Schlitten und veranstalteten zum Spaß Rennen. Ihre Hunde, in denen Wolfsblut fließen soll, sind so robust, dass sie Eiseskälte auf langer Dauer aushalten.

Broberg ist mit Hunden aufgewachsen, schon seine Vorfahren beherrschten das Handwerk, Herr eines Rudels zu werden, es zu lenken und dazu zu bringen, schwere Lasten zu ziehen. Schlittenhunde sind keine Haustiere, die sich gerne streicheln lassen. Das Gesicht des kleinen Mannes wird von einer schwarzen Brille und dem gleichfarbigen Schnäuzer gerahmt. Als wolle er sich über die Touristen in ihren vielen Lagen aus Mützen, Schals und Kapuzen lustig machen, trägt er ein dünnes Sommerkäppi mit weißer Aufschrift: „Portugal“.

Oben auf dem Gletscher ziehen die Hunde an ihren Ketten, wedelnd begrüßen sie Broberg. Vier Rudel verbringen den Sommer hier oben auf dem Berg, angeleint, tagsüber betreut von ihren Besitzern, Nachts alleine im Schnee. Sie sind hier, damit Touristen kommen. Zwei Stunden wandern die Urlauber dafür über Moose, gehen mit Schneeschuhen über brüchige Schneefelder. Das letzte, steilste Stück fährt sie ein Führer mit dem Schneemobil.

Hans Jørgen Lukassen, der heute mit Broberg für sie zuständig ist, spannt die Hunde sternförmig vor den blau lackierten Schlitten. Er gestikuliert, die Touristen können sich nun auf das Rentierfell setzen. Die ziehen ihre Mützen tiefer ins Gesicht, dann werden sie vom heftigen Ruck des Anfahrens davon getragen.

Lukassen ist 31 Jahre alt, kurzgeschorene Haare, die Haut ist braungebrannt, seine Sonnenbrille verspiegelt – er gehört zu den wenigen Jungen, die noch Schlittenhundeführer sein wollen. Aufgewachsen ist er in einem Dorf, in dem nur ein paar Dutzend Menschen leben. Dort hatte er im Laden gearbeitet, als Müllmann und als Hausmeister in der Schule. Dann zog er in den größeren Ort Qeqertarsuaq und fand keine Anstellung. Seither lebt er wie seine Vorfahren: vom Jagen und Fischen, mit seinen Hunden.

Die Hunde haben heute Mühe, den Schlitten durch den vereisten Schnee zu ziehen, Lukassen trabt neben ihnen her und gibt Kommandos. Rechts. Links. Schneller. Er hält die Zügel locker, die Peitsche bleibt auf dem Schlitten liegen. Schon nach einer halben Stunde ruft er „Stopp!“, die Hunde kommen am Rand des Lyngmark-Gletschers zu stehen, hinter dem mächtige Berge thronen. Zeit für Fotos.

Spätestens jetzt bröckelt die Authentizität des Tourangebots. Hier oben auf dem Gletscher gibt es kein Dorf und keine Jagdbeute, eigentlich auch keinen Grund für eine Schlittenfahrt, die für Touristen teuer ist und noch nicht einmal bequem. Wäre da nicht ein Moment bei diesem Zwischenstopp, in dem einen die grönländische Natur ergreift. Ihre Weite. Und ihre Stille. Einen Moment lang hört man: nichts. So klang Inuit-Alltag.

Lukassen ruft seine Hunde, es geht zurück. Die Tiere respektieren ihn, weil er spürt, was sie brauchen. Deshalb läuft auch der Hund nicht davon, der sich gleich zu Beginn von seiner Leine gerissen hatte, sondern trabt gemächlich voran. Die erste eigene Fahrt, dass weiß Lukassen noch genau, endete in Tränen: Als achtjähriger Junge versuchte er, acht wilde Tiere zu bändigen. Sie gehorchten ihm nicht. „Aber da muss jeder durch“, sagt er und lacht so, als sei ihm das Geständnis vor dem Älteren peinlich. Aber der nickt.

„Wie mache ich sie zu guten Schlittenhunden?“, hatte Broberg seinen Vater gefragt, als er seine ersten Welpen trainierte „Bring sie zum Rennen“, bekam er als Antwort. Wie, das ist jedem Schlittenhundeführer selbst überlassen. Deshalb geriet der vorherige Anbieter für Schlittentouren auf dem Lyngmark-Gletscher in Kritik: Nicht einmal blutende Pfoten hielten ihn davon ab, sie vor die Schlitten zu spannen, berichteten Touristen. Heute führt eine andere Familie das Geschäft.

Nach einer Stunde kehren die Schlitten zurück. Der dichte Nebel, der eben noch auf Höhe des Gipfels hing, zieht auf und gibt den Blick auf das Meer frei. Dort schwimmen Eisberge, die auf der anderen Seite der Diskobucht vom Sermiaq Kujalleq abbrechen, dem produktivsten Gletscher der nördlichen Halbkugel. Manche Eisberge sind groß wie Lagerhallen, Touristen staunen. Früher seien sie viel größer gewesen, sagen Einheimische.

Broberg erzählt, wie er neulich zum Fischen rausfahren wollte. Es ging nicht: Der Fjord war noch zugefroren, im Juni. Das ist ungewöhnlich. Genauso wie die Jahre, in denen Fjorde gar nicht vereisten. Verheerend in Regionen, in denen die Versorgung vom Wetter abhängig ist: Friert das Meer nicht zu, können die Inuit nicht jagen. Taut das Eis zu spät, verspäten sich die Schiffe, die neue Vorräte in entlegene Siedlungen bringen. In Grönland sorgt der Klimawandel schon jetzt dafür, dass auf die Rhythmen der Natur kein Verlass mehr ist.

„Wenn wir die Hundeschlitten im Winter nicht benutzen können, bekommen wir auch kein Futter für die Tiere“, sagt Lukassen. Wenn Grönländer etwas jagen, dann nutzen sie die Beute so effizient wie möglich: Das gute Fleisch der Robben essen Menschen, den Rest bekommen die Hunde. Häute und Felle werden zu Kleidung und Kajaks verarbeitet, aus Knochen wird Schmuck. Können Jäger nicht losziehen, gibt es weder für Mensch noch Tier zu essen. Deshalb verzichten mehr und mehr Grönländer auf Hunde. Zu oft gab es schlechte Winter.

„Im besten Falle“, sagt Broberg, „kostet die Haltung von Hunden nichts. Sie gehen auch nicht einfach so kaputt.“ Er setzt nun zu einer Verteidigungsrede an. Denn nicht nur der Klimawandel bedroht die Tiere, auch der Wunsch nach den glänzenden Schneemobilen. „Sie brauchen Benzin und man sieht nichts mehr von der schönen Landschaft, so schnell sind die“, sagt Broberg. Aber auch, dass er als Schlittenhundefahrer sowieso gegen die modernen Dinger sein müsse.

Wird die alte Kultur aussterben? „Wir haben weniger Hunde als früher“, sagt Broberg, „aber irgendwie werden sie ihren Weg in die Moderne finden.“ So wie die Inuit selbst: Obwohl die klimatischen Bedingungen es nahezu unmöglich machten, haben sie immer Methoden entwickelt, um sich anzupassen – und so zu überleben.

Und dann steigen die Männer auf ein Schneemobil und fahren ins Tal.

Gekürzt auf Spiegel-Online erschienen.

Foto: Christina Schmidt