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Raus aus der Diktatur?

Myanmar, kurz vor den ersten freien Wahlen nach sechs Jahrzehnten Militärdiktatur. Der Student Sithu Maung wollte auch in die Politik – und landete im Gefängnis. Einblick in die myanmarische Opposition.

Nicht einmal der Einstieg in dieses Gespräch ist harmlos. „Mein Name ist Sithu Maung“, sagt der junge Mann. „Ich war 19, als mich die Militärregierung verhaftete.“ Der 27-Jährige mit den kurzen dunklen Haaren und der silbernen Beamten-Brille möchte seine Geschichte erzählen. Da ist keine Zeit für Smalltalk. Die Geschichte handelt davon, wie ihn seine Regierung jahrelang einsperrte, weil er sich Veränderung wünscht. Und von der Beharrlichkeit eines jungen Menschen, der seine eigene Karriere aufs Spiel setzt, weil er will, dass es anderen besser geht. Weil er sich Demokratie, Freiheit und Bildung wünscht.

Beim ersten Treffen mit Sithu Maung vergangenen Dezember trägt er ein blaues Hemd und einen Longhi, den traditionellen Wickelrock Myanmars. Er studiert Wirtschaft in Yangon, der größten Stadt Myanmars, das einst Burma hieß, aber immer noch keinen Namen gefunden hat, der zu einem freien Land passt. Den jetzigen hat 1989 das Militärregime gewählt, das das ehemals fortschrittliche Burma in ein armes Entwicklungsland verwandelte. Nichts an Sithu Maung ist jugendlich oder gar studentisch. Er plant, bei der Parlamentswahl am 7. November 2015 für einen Sitz zu kandidieren. Sithu Maung hat große Hoffnungen, dass die Wahlen ein wichtiger Schritt in Richtung Demokratie sind, dabei steht ein Teil des Ergebnisses schon fest: Ein Viertel der Parlamentssitze ist für die Partei reserviert, in der sich die Funktionäre der früheren Militärdiktatur Myanmars versammeln. Bei diesem ersten Treffen weiß Sithu Maung auch noch nicht, dass er selbst bald erleben wird, wie schwer der Wandel von einer der ausdauerndsten Diktaturen der Welt hin zu einem demokratischen Staat ist. Dass guter Wille dabei nicht reicht.

Als Treffpunkt hat Sithu Maung ein Café an einem künstlichen See ausgewählt. Gegenüber von dem Café steht das Haus von Aung San Suu Kyi, Myanmars berühmtester Politikerin und Friedensnobelpreisträgerin. 15 Jahre lebte sie dort unter Hausarrest, blickte auf denselben künstlichen See, auf den Sithu Maung jetzt schaut. Für ihn ist Aung San Suu Kyi eine Heldin, sie machte ihn neugierig auf Politik und ließ ihn der werden, der er jetzt ist.

Auf seinem Smartphone hat Sithu Maung Reden gespeichert, die er halten will. Es geht um Minderheiten, um Toleranz und Mitbestimmung. „Ich glaube, dass die Wahlen das Wichtigste sind, was unserem Land derzeit passiert“, sagt Sithu Maung.

Studenten wie Sithu Maung waren und sind der Motor der Oppositionsbewegung in Myanmar. Das weiß auch die Regierung. Bis 2013 hat sie Erstsemestern verboten, im Zentrum Yangons zu studieren. Aus Angst, sie könnten einander politisieren und sich zusammenrotten, wie sie es in der Geschichte des Landes immer wieder getan haben: 1920, als die erste Unabhängigkeitsbewegung entstand. Oder 1988, als bei einem Volksaufstand tausende Mönche, Studenten und Demonstranten starben oder im Gefängnis verschwanden.

Für Politikerin Aung San Suu Kyi war dieses Aufbegehren der Bevölkerung das Schlüsselereignis, dass sie aus ihrem sicheren Exil in Großbritannien zurückkehren ließ. Sie gründete die Nationale Liga für Demokratie (NLD), die größte und bedeutendste Oppositionspartei des Landes. Die Regierung stellte sie dafür unter Hausarrest. Mittlerweile leben viereinhalb Millionen Menschen in Yangon, darunter knapp 15000 Studenten. Ihr Campus reiht sich im Norden der Stadt an einer Allee auf.

Das Schlüsselereignis für Sithu Maung war die Safran-Revolution 2007. Damals war er im zweiten Jahr an der Universität für Wirtschaft in Yangon eingeschrieben. Er erlebte, wie einige Aktivisten der 88er-Revolution aus dem Gefängnis freigelassen wurden und direkt junge Oppositionelle um sich scharten. Die Idee: Sie wollten die Studentenvereinigung aufleben lassen, aus der einst Aung San Suu Kyis Partei hervorgegangen war. Die Regierung hatte sie verboten. Doch der Mythos der politischen Opposition war für die jungen Studierenden stärker als die Angst vor dem Gesetz. Sithu Maung machte mit.

Kurz darauf hob die Regierung den Ölpreis an. Arbeiter konnten es sich nicht mehr leisten, zur Arbeit fahren, Studenten nicht in die Universität. Buddhistische Mönche, die große Autorität im Land genießen, marschierten aus Protest friedlich durch die Straßen. Die Studenten schlossen sich an, es folgten tausende Bürger. Längst ging es um mehr, als um überteuertes Benzin. Die Menschen liefen gegen die Übermacht der Regierung an.

Dann kam der Tag, an dem Sithu Maung seine erste Rede halten sollte. Eine ganze Nacht feilte er daran. „Du darfst keine Angst haben“, redete er sich ein. Er erinnerte sich daran, wie die zierliche Aung San Suu Kyi vor vielen Jahren auf dem Balkon seiner Eltern stand. Er war noch ein Kind, unter ihr die Masse der Zuhörer, die sie in ihren Bann zog. Viele in seiner Familie sind Anhänger ihrer Partei. Sithu Maung aber wollte mehr sein: ihr Mitstreiter.

Also griff er zum Mikrofon. Wohlwissend, dass er sich damit gewissermaßen selbst auf die Fahndungsliste des Militärs setzte. In seiner Rede forderte er, dass die Militärregierung mit der Opposition zu sprechen beginnt. Das Gegenteil passierte. Die Regierung fing an, auf die Demonstranten zu schießen. Elf Menschen starben laut Regierung. Die Vereinten Nationen gehen von mehr als 70 Toten aus.

Überall in der Stadt tauchten Fotos von Mönchen und Aktivisten auf, die verhaftet werden sollten. Sithu Maungs war auch dabei. Als die Polizei bei seinen Eltern auftauchte, war Sithu Maung weg. Also nahmen sie die Eltern mit. Ihr Vergehen: Die Tür nicht schnell genug für die Männer geöffnet zu haben, die ihren Sohn verhaften wollten. Ihre Strafe: Sechs Jahre Gefängnis. Tage später nahmen sie auch Sithu Maung fest.

Er macht eine Pause, als er davon spricht. „Ich protestierte für die Freilassung politischer Häftlinge und wurde deshalb selbst einer“, sagt er. „Witzig.“ Er lacht. Aber sein Lachen klingt traurig.

Ein Gericht verurteilt Sithu Maung zu elf Jahren Haft. Im Prozess wurden Paragraphen wegen unerlaubter Versammlungen, Randale, Verunglimpfung von Religion und Störung der öffentlichen Ruhe herangezogen. Sithu Maung sagt, er habe nie einen fairen Prozess bekommen. Er wurde gefoltert. „Körperlich und seelisch.“ Sein Gefängnis befand sich in der Grenzregion zu Bangladesch. Dort, wo buddhistische Mönche Muslime auf offener Straße attackierten und umgekehrt. Sithu Maungs Familie ist muslimisch, eine unterdrückte Minderheit im buddhistischen Myanmar. Seine Eltern haben sich nie getraut, ihren Sohn im Gefängnis zu besuchen.

2012 erlässt die Regierung eine Amnestie für politisch Inhaftierte. Auch Sithu Maung kommt frei: Vier Jahre und sechs Monate hatte er da bereits im Gefängnis verbracht. Über diese Zeit redet Sithu Maung nicht viel. Lieber berichtet er davon, wie ihn ein Menschenrechtsbeauftragter der Vereinten Nationen dort besuchte. Ihm erzählte er, dass die Wachen ihn schlechter behandelten, weil er politische Gefangene ist. Er spricht über dieses Treffen wie über einen Erfolg. Gewissermaßen ist es das auch: Einflussreicher politischer Häftling gewesen zu sein, ist so etwas wie ein Titel. Er wird für eine Karriere im neuen Myanmar hilfreich sein.

Es gibt ein Foto von Sithu Maung, geschossen am Tag seiner Freilassung. Er trägt ein weißes, Hemd, eine Blumengirlande um den Hals, ist umringt von Freunden und Anhängern, die seinen Namen rufen. Er streckt seine Faust in die Höhe und sieht erleichtert aus. Nur war er mit seiner Freilassung nicht rehabilitiert: Sein Studium, mit dem er vor seiner Haft fast fertig war, durfte er nicht beenden. Erst als ein hochrangiger Politiker sich für ihn einsetzte, konnte Sithu Maung zurück an die Uni.

Aber anstatt in Vorlesungen zu sitzen, gründete er neue Studentenvereinigungen. Er glaubt, dass eine Gesellschaft sich nur verbessern kann, wenn sich zuerst das Bildungssystem ändert. Wenn es freien Zugang zu Literatur gibt. Und eine Debattenkultur. Manche Dozenten, sagt er, ließen in ihrem Unterricht nicht einmal Fragen zu. Deshalb üben die Studenten nun untereinander zu diskutieren. Sithu Maung spricht gutes Englisch, dabei hat sein Englischlehrer ihn gerade durchfallen lassen. Er sei nicht gut genug und zu selten anwesend. Tatsächlich ist Sithu Maung oft unterwegs, berät sichmit Mönchen darüber, wie sie zwischen Buddhisten und Muslimen vermitteln können. Reist in entfernte Universitäten, um Mitglieder für seine Studentenvereinigungen zu werben. Der, der Bildung für so wichtig hält, hat selbst keine Zeit dafür.

„Es ist mein Traum, Politiker zu werden“, sagt Sithu Maung am Ende des Treffens. „Wirklich, das ist mein Job“. Sithu Maung steigt in den Bus, er will noch zum Geburtstag eines Freundes, alle werden anwesend sein: Politiker, Aktivisten, die Kommilitonen aus der Studentenvereinigung. Für einen Moment ist da etwas Privates, Persönliches in seinem Aktivistendasein. Seine Freundin sitzt neben ihm, ihre langen schwarzen Haare reichen ihr bis zur Hüfte. Sithu Maung hat ihr versprochen, dass sie heiraten werden. Bald, wenn er seinen Abschluss hat. Sobald er Geld verdient, als Abgeordneter.

Wenige Wochen vor der Wahl dann die Überraschung: Sithu Maung schreibt auf Facebook, dass die Liste der Kandidaten bei der kommenden Wahl online sei. Seine Partei wird ihn nicht aufstellen. Für seinen Wahlkreis tritt ein Unbekannter an. Ein Buddhist. Kein einziger Muslim darf für die Partei von Aung San Suu Kyi kandidieren. Denn nicht einmal sie, die Friedensnobelpreisträgerin, wagt es, neben dem Kampf gegen die Vorherrschaft des Militärs eine weitere Front zu errichten und sich mit den einflussreichen buddhistischen Mönchen anzulegen. Eine entstehende Demokratie ist leicht verletzlich.

Dabei hat Sithu Maung für diese Kandidatur vieles aufgegeben. Er ist zur Zielscheibe geworden, die Regierung weiß bereits, dass er kandidieren wollte. Er will trotzdem weitermachen. Reden halten Kandidaten beim Wahlkampf begleiten. Wohlwissend, dass er schon verloren hat. Er ist nun politischer Aktivist für die Opposition eines autoritären Staates. Gewinnt seine Partei bei der Wahl keinen nennenswerten Einfluss, verliert Sithu Maung nicht nur den Traum von einer Demokratie. Er verliert seine Zukunft: Ein ehemaliger politischer Häftling braucht einen Beruf, von dem er leben kann. Den bekommt er nur, wenn seine Gegner nicht erneut die Macht erlangen. „Ich werde nicht aufgeben“, sagt er. Die Phrase ist alles, was ihm noch bleibt.

Erschienen in der Süddeutschen Zeitung/Jetzt.de am 02.11.2015

Foto: Christina Schmidt