In einem Internetforum bieten Männer Samenspenden an, Frauen suchen dort nach Vätern, weil ihnen der passende Partner fehlt. Wie fühlt es sich an, mit einem Wildfremden um ein Kind zu verhandeln? Ein Selbstversuch.
Als die Email im Postfach auftaucht, wird mir klar, wie ernst Martin* das Angebot mit dem Sperma und dem Kind meint. Die Nachricht ist lang, er schreibt, dass er sich als langweiligen Typen bezeichnet und gute Gene hat. Martin hat mir dieses Mal ein Foto geschickt, ich öffne es und sehe ihn zum ersten Mal. Lässig lehnt er an einer Wand, seine Augen wirken fast türkis, so stark leuchten sie. Photoshop, denke ich. Und: schöner Mann. Martin schickt mir schöne Abendgrüße und ich weiß, dass ich diesem Wildfremden nun auch etwas von mir preisgeben muss. Dabei will ich doch nur sein Sperma.
Ich kenne diesen Mann nicht und doch habe ich ihm geschrieben. Um ein Kind zu bekommen. In einem Internetforum hat Martin seine Samenspende angeboten. Für ihn bin ich Nicole, 28 Jahre alt. Nicole hat keinen Partner aber einen sehnlichen Kinderwunsch. Martin meint sein Inserat ernst. Ich spiele eine Rolle – weil ich herausfinden möchte, wie es sich anfühlt, mit einem Fremden um Sperma zu verhandeln.
Ich begebe mich in diesen Selbstversuch, weil es Frauen gibt, die sich nicht anders zu helfen wissen, als im Internet nach einem biologischen Vater zu suchen. Nicole wäre einer dieser Frauen. Sie könnte nicht einfach zu einer professionellen Samenbank gehen. Dort werden nur Ehepaare medizinisch betreut – oder Frauen, die dem Arzt vorweisen können, dass sie einen Mann an ihrer Seite haben. Nicht-verheiratet muss er sein und mit ihr eine „festgefügte Partnerschaft“ führen – so wollen es die Ärztekammern der meisten Bundesländer, einzig in Berlin sind die Bedingungen lockerer. Alles andere entspricht nicht dem Familienbild, in das Ärzte Kinder hineingeboren wissen möchten. Wäre Nicole echt, würde sie diese Kriterien in ihrer Heimatstadt Stuttgart nicht erfüllen. Deshalb suche ich unter ihrem Namen im Internet Hilfe.
Bevor ich auf Martin treffe, klicke ich mich durch verschiedene Webseiten. Ich lande bei einer Sammlung von Kleinanzeigen, dort bietet einer gebrauchte Autoreifen an, ein anderer seine Samen. Es gibt amerikanische Portale, die Spenden in Röhrchen und gekühlt nach Übersee verschicken. Ich bleibe in einem deutschen Forum hängen. Dort schreibt Gian-Luca: „Hallo liebe zukünftige Familie, ich bin 22 Jahre alt, 1,80 groß und Halb-Italiener“. Carsten schreibt, dass er per Becher spende und ein aktuelles Gesundheitszeugnis vorliegen habe. Stefan wirbt mit seinem sehr guten Spermiogramm. Einer besteht auf die „natürliche Methode“. Ich bin in eine Welt eingedrungen, in der es eigene Fachbegriffe gibt, um Samen untereinander auszutauschen. Menschen werben hier mit ihren Körpermaßen und glauben, dass eine Frau daraufhin ihr Sperma haben will. Sie schreiben, dass sie bereits anderen gespendet haben. Es gibt also Frauen, die ihr Sperma wollen.
Dann finde ich Martin. „Dunkelblond, blaue Augen, 32 Jahre“, beschreibt er sich; dass er keine Krankheiten habe. „Ich möchte an Frauen/Paare spenden, die eine gewisse Bildung haben und eine gewachsene Persönlichkeit sind.“ Es ist die erste Anzeige, aus der ich heraus lese, dass sich der Spender bewusst darüber ist, was er einem wildfremden Menschen ermöglicht: Die Fürsorge für ein Kind zu übernehmen. Martin schreibt, dass er sich für Fotografie interessiert, für Philosophie und für Sport. Ich schreibe ihm, dass ich mich für sein Sperma interessiere. Keinen halben Tag später habe ich seine Antwort in meine Postfach.
„Hallo Nicole, vielen Dank für deine Nachricht“. Martins Antwort erlöst mich von dem Gefühl, das zwischen dem Wunsch, nach einem ersten Date wieder etwas von dem anderen zu hören und einem Bewerbungsgespräch rangiert. Ich bin wohl in der zweiten Runde. „Ich habe zwei Mal einem Frauenpärchen gespendet“, erzählt Martin. Seine Kinder sind zwei Jahre und ein halbes Jahr alt. Martin ist Vater. Und Profi. Ich bin eingeschüchtert und doch fühle ich mich ihm irgendwie verbunden. Schließlich schmieden wir gerade einen gemeinsamen Plan: Ein Kind in die Welt zu setzen.
Das Paar, dessen Kinder er gezeugt hat, fällt ebenfalls durch den Kriterienkatalog einer perfekten Familie, den sich die Ärztekammer zurecht gelegt hat: Nicht nur alleinstehende Frauen, auch Lesben können keine Samenspende bekommen – in den meisten Bundesländern auch dann nicht, wenn sie in eingetragenen Lebensgemeinschaften leben. Die baden-württembergische Ärztekammer argumentiert mit der Pflicht eines Vaters, für den Unterhalt seiner Kinder zu sorgen: Bei heterosexuellen Paaren kann der Ziehvater den biologischen Vater von dieser Pflicht entbinden. Eine lesbische Ziehmutter hat diese Möglichkeit nicht. Lesbische Paare müssen ausländische Samenbanken um Spenden bitten. Oder die im bayerischen Erlangen, denn dort können sie schriftlich bestätigen, dass sie genug Geld verdienen, um später nicht den Spender auf Unterhaltszahlungen verklagen zu müssen. Dann bekommen sie eine Spende.
Wer nicht reisen oder Selbstverpflichtungen unterschreiben will, muss aufs Internet ausweichen, so wie ich in diesem Selbstversuch. Für andere beginnt die Kinderplanung mit Liebe, mit Sex. Ich habe nur anstrengenden Email-Verkehr. Martin und ich versuchen, Forderungen aneinander zu stellen, uns durchzusetzen. Gleichzeitig wage ich nicht, Martin zu verärgern. Ich brauche ihn und das weiß er.
„Ich habe mir folgenden Kriterien aufgestellt“, schreibt er. Sympathie, Bildung, Gesundheit, Finanzielles. Ich lasse Nicole sympathisch wirken, mache sie zu einem gebildeten Menschen, gesund ist sie auch. Martin behauptet das gleiche von sich. Ich will mehr über ihn erfahren, als seine körperliche Verfasstheit. „Ich wüsste gerne, wie du dir die Spende grundsätzlich vorstellst“, frage ich. „Möchtest du Kontakt zu dem Kind?“ „Eher weniger als mehr“, antwortet er.
Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff erzürnte sich kürzlich in einer Rede über künstlich gezeugte Kinder. „Halbwesen“, nannte sie sie und „nicht ganz echt“. Sie sprach damit Ressentiments aus, die so wohl noch häufiger kursieren. Dabei meint sie sogar nur jene Kinder, die mit ärztlicher Hilfe entstehen. Was würde sie wohl über eines denken, dessen Geschichte mit einer Annonce im Internet beginnt? Mir wird klar, wie echt dieses Kind wäre, über das wir verhandeln. Ich am Schreibtisch sitzend, er womöglich ins Sofa gelümmelt, irgendwo anders in Deutschland. Umso unrechter kommt es mir vor, jetzt zu entscheiden, dass es Geschwister haben wird, die es nie kennenlernen darf – die andere Familie ist zwar einverstanden damit, dass Martin weitere Kinder zeugt, möchte aber für sich bleiben.
Ich schreibe Martin, dass ich keine Hilfe von ihm brauche, um das Kind groß zu ziehen, lege damit fest, dass das Kind einen Vater bekommt, der nur wenig Interesse an ihm hat. Martin sagt, er möchte nicht, dass das Kind von dem Geld erfährt. Das Geld, das er von mir fordert, um in einen Becher zu wichsen. 700 Euro. „Ein Betrag, den die Frau bereit sein sollte aufzuwenden.“ Er formuliert das, als gäbe es einen festgelegten Geldwert, ab dem Eltern ihren Nachwuchs wertschätzen. Ich denke kurz darüber nach, zu feilschen. Ich Rabenmutter.
Neulich habe ich bei einer Kleidertauschbörse im Internet eine Hose verkauft. Der Knopf war ab, das habe ich der Käuferin verschwiegen. Mir war das egal und meine Identität hinter einem Nickname verborgen. Wer Samen bei einer Samenbank kauft, zahlt auch für die Garantie, dass die testbaren Krankheiten überprüft und ausgeschlossen wurden. Mindestens sechs Monate lang, um sicher zu gehen, dass der Spender nicht mit dem HI-Virus infiziert ist. Bei Martin muss ich mich darauf verlassen, dass er so vernünftig mit seinem Körper umgeht, wie er behauptet. Er könnte mir noch so viele Papiere vorlegen, die ihm Gesundheit und Manneskraft bescheinigen, richtige Sicherheit bekomme ich nicht. Schlimmstenfalls aber eine fiese Krankheit.
„Wieso ich spenden möchte ist mehr ein Gefühl, als dass man es in Worte fassen kann“, schreibt Martin in einer seiner langen Mails. Er versucht es trotzdem: Da sei dieser Wunsch, sich zu verewigen. Der Urinstinkt, sich fortzupflanzen. Und sein gutes Aussehen. „Was nicht heißen mag, dass ich meine Gene verschleudere. Im Gegenteil, ich möchte diese Wertigkeit sehr überlegt weitergeben.“ Martin ist schwul. Auch er wird nie eine Familie gründen, die traditionellen Kriterien entspricht.
Ich will wissen, wie die Übergabe funktionieren soll. Martin schlägt ein Hotel vor. Dass er in einen Becher spendet und dann geht. „Ist ja angebracht, auch wenn es etwas unfreundlich erscheint.“ Martin bemüht sich, höflich zu sein. Ich finde den Gedanken, alleine auf einem Hotel-Klo zurück zu bleiben, unwürdig. So beginnt keine Entstehungsgeschichte, die man seinem Kind erzählen möchte.
Martin schreibt, er wolle mich treffen. Er will wissen, ob ich auch das Kriterium „Sympathie“ erfülle. Was, wenn er doch nur ein Spinner ist, der sich über mich lustig macht? Oder einer, der Sex sucht? Das ist der Moment, in dem ich entscheide, diesem Fremden nicht alles preiszugeben. Ich bin froh, dass ich nicht Nicole bin, die auf dieses Begegnung und den Spender angewiesen wäre. Es ist an der Zeit, dass die Ärztekammern der Länder ihre Kriterien überdenken, die sie an potentielle Mütter anlegt – warum sollten Nicole oder lesbische Eltern sich schlechter um ein Kind kümmern? Ist es wirklich besser, sie an anonyme Spender im Internet zu verweisen? Ist unsere Gesellschaft immer noch nicht bereit, für andere Lebensstile?
Ich antworte Martin nicht mehr.
*Name geändert
Erschienen in Kontext:Wochenzeitung Ausgabe 155