Mobile Menu

SPIEGEL_Strommasten-page-001

Macht der Schönheit

Um die Anwohner für neue Stromtrassen zu begeistern, setzen einige Netzbetreiber auf Kunst. Können Designermasten den Widerstand der Bürger brechen?

Wenn es um Strommasten geht, kann sich Erik Bystrup begeistern. Steht er vor einem seiner Pfeiler, spricht der dänische Architekt gern von „Eleganz“ und „Schönheit“ und von der Freude, die es ihm bereite, dass Strommasten endlich nicht mehr wie „riesige traurige Männer“ in der Landschaft hockten.

Für Bystrups Emphase gibt es einen simplen Grund: Bei seinen Masten handelt es sich nicht um gewöhnliche Stahlträger, sondern um Kunst. Damit die weit sichtbaren Pfeiler bei den Dänen besser ankommen, entwarf der Architekt moderne Masten, die abstrahierten Kronen oder Adlerflügeln gleichen.

Seither kann Bystrup seinen Stolz darüber nicht verbergen, dass er sich zu den Pionieren einer neuen Ästhetik des Strommastes zählen darf. Sein geflügelter Pfeiler soll bald in 500facher Ausführung entlang einer 166 Kilometer langen Strecke im dänischen Jütland stehen. Die Reflexion des Sonnenlichts, schwärmt der Architekt, werde die Stahlpfähle „nahezu unsichtbar“ machen.

Das ist eine Eigenschaft, die sich viele Bürger für Stromtrassen wünschen. Wegen der Energiewende müssen in den nächsten Jahren europaweit Tausende Kilometer neuer Stromleitungen gezogen werden, doch die Begeisterung darüber hält sich überall in Grenzen. Die um die 60 Meter hohen Stahlnetze verschandeln die Landschaft und sind von elektromagnetischen Feldern umgeben, und so bekämpfen die Anwohner sie in vielen europäischen Ländern mit Bürgerinitiativen.

Gegen den geballten Widerstand setzen Netzbetreiber nun vielerorts auf eine neue Waffe: die Macht der Schönheit. Im finnischen Jyväskylä reckt sich nicht einfach ein schmuckloser Metallpfeiler in den Himmel, sondern ein gelbes, geschlungenes Ypsilon, das angeleuchtet noch nachts die Botschaft vom guten Strom verkündet. Und in Island könnten menschliche Statuen als Masten entstehen. Ihre Bauweise macht es sogar möglich, sie individuell der Umgebung anzupassen, etwa als kletterten sie einen Hang hinauf.

Die Stromkonzerne können bereits erste Erfolge vermelden. Bystrups Kronen-Pfeiler im Norden Dänemarks sind das Resultat eines Wettbewerbs, den der dänische Netzbetreiber Energinet.dk vor rund zehn Jahren ausgerufen hatte. Um eine neue Trasse durchzusetzen, köderte das Unternehmen Anwohner und Abgeordnete mit der Idee, unauffälligere Designermasten zu verwenden. „Die Politik hat diese Idee aufgenommen und uns als Bedingung vorgeschrieben“, sagt Energinet.dk-Manager Christian Jensen. Ein Kuhhandel, der scheinbar Versöhnung in die politische Debatte brachte: Anwohner nennen die Strompfeiler wegen ihrer Form nun liebevoll „Zauberstäbe“.

Nicht überall erliegen die Bürger jedoch widerstandslos dem Charme der aufgehübschten Masten, die am Ende immer noch Masten bleiben. Das erfuhr der niederländische Netzbetreiber Tennet. Sein Vorschlag, statt der üblichen Stahlstelen Doppelmasten aus zwei weißen spargelförmigen Pfeilern im Boden zu verankern, stieß auf wenig Zustimmung. „Wir wollen Erdverkabelung statt gefährlicher Masten, da hilft auch kein neues Äußeres“, sagt Harry van der Weij, einer der protestierenden Bürger.

In anderen europäischen Ländern ist die Auseinandersetzung um die Kunst am Strommast voll entbrannt. In Deutschland dagegen, das sich gern als Vorreiter zukunftsfähiger Energietechnik sieht, lassen sich keine Spargel-, Kronen- oder Flügelmasten bewundern. „Unsere Projekte stecken noch in den Kinderschuhen“, sagt Wilfried Fischer, Manager für Großprojekte beim ostdeutschen Netzbetreiber 50Hertz. Der traditionelle Gittermast sei in puncto Solidität und Wirtschaftlichkeit derart überlegen, dass Fischer nur das Wort „optimal“ einfällt.

Alle Bestrebungen, diese Bauweise zu verändern, erschwerte nicht zuletzt die deutsche Bürokratie mit ihren Tausenden Sicherheits- und Bauvorschriften. „Freileitungen stehen im öffentlichen Raum, wir tragen die Verantwortung dafür und können nicht mit unerprobten Werkstoffen experimentieren“, sagt Fischer.

Dabei böte der geplante Investitionsschub nun die Chance, Stromtrassen so wenig störend wie möglich zu gestalten. Designmasten sind ein Kompromiss, keinesfalls aber eine Antwort auf die Frage, wie viel Beeinträchtigung das menschliche Bedürfnis nach Strom eigentlich wert ist. Die Netzbetreiber haben noch Spielraum, um auf Anwohner zuzugehen, indem sie beispielsweise das Stromnetz der Bahn mitnutzen (SPIEGEL 17/2011), Leitungen unterirdisch verlegen oder sogar Windturbinen in den Mast integrieren, um zusätzlichen Strom zu erzeugen.

Wie groß der Diskussionsbedarf ist, erlebt der dänische Architekt Bystrup. Seinen Adlermast musste er während der öffentlichen Aushandlungen mehrfach umgestalten. Zuerst waren es Sicherheitsbedenken und Abstandswünsche der Bürger, dann optische Vorlieben, die den Mast verschlankt, dafür aber höher und auffälliger gemacht haben. Von der ursprünglichen Vision, einen unsichtbaren Mast zu kreieren, ist dem Architekten wenig geblieben.

Erschienen in DER SPIEGEL 18/2011