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Navid kann warten

Wir träumen vom Abenteuer, Weltreisen und der Selbstverwirklichung. In Berlin träumt eine Gruppe junger Menschen davon, einen Alltag zu bekommen, sicher zu sein. Sie sind Flüchtlinge aus der ganzen Welt und protestieren für bessere Asylgesetze. Sie versuchen mit Hungerstreiks, Demonstrationen und einem Protestcamp, die Aufmerksamkeit der Politiker und Bürger auf sich zu ziehen. Einer von ihnen ist Navid aus dem Iran. Zu Besuch bei einem, der Hoffnung hat, weil ihm nichts anderes übrig bleibt.

Es ist noch Morgen und schon wartet Navid darauf, dass die Zeit vergeht. Das ist sein Plan für den Tag: Warten. Morgen auch. Und übermorgen. Aber irgendwann wird sie kommen, da ist Navid sich sicher: die Zukunft. „Wir müssen ja etwas verändern“, sagt er. „So geht es ja nicht weiter“, schiebt er etwas leiser hinterher. Das „mit mir“ ist dann kaum noch zu hören. Dabei ist dieser Nachsatz der Grund, warum er in einem Zelt sitzt, das mitten auf dem Berliner Oranienplatz steht. Navid, der eigentlich einen anderen Namen trägt, ist aus dem Iran geflüchtet, in Deutschland hat er Schutz gesucht. Und nicht bekommen, sein Asylantrag wurde abgelehnt. Also schloss er sich einer Gruppe von Flüchtlingen an, die eine andere Asylpolitik fordert. 50 Männer und Frauen, acht große Zelte und das Ziel: Die gleichen Rechte wie deutsche Staatsbürger zu bekommen.

Sie hatten Glück, der Winter war mild, nur regnerisch. Holzpaletten bilden Brücken zwischen den Zelten. Ein Mann in Navids Alter balanciert darüber ins Küchenzelt. Die meisten im Camp sind so jung, Anfang dreißig, das Alter für Kinder, Karriere, Welterkundungen. Gleichaltrige Touristen flanieren am Lager vorbei in die Cafés und Bars der Oranienstraße, einer von ihnen bleibt stehen, um ein Foto vom Camp zu schießen. Die Flüchtlinge als Sehenswürdigkeit. „Ich verstehe nicht, warum wir nicht die gleichen Rechte haben wie andere. Die wollen uns hier nicht“, sagt Navid. „Die“, dass sind in Navids Augen Politiker, die absichtlich Gesetze machen, die Leute wie ihn in eine missliche Lage bringen.

Bereits seit einem Jahr leben die meisten Flüchtlinge als Aktivisten auf der Straße: Erst protestierten sie mit einer Wanderung quer durch Deutschland, mit einem Hungerstreik vor dem Brandenburger Tor zogen sie die mediale Aufmerksamkeit auf sich. Ein paar Bundestagsabgeordnete begannen, sich für ihr Schicksal zu interessieren. Politische Veränderungen hat es bisher trotzdem nicht gegeben. Jetzt campieren die Protestierenden in Kreuzberg. Sie verstoßen damit gegen Asylregeln – und riskieren ihren Aufenthalt in Deutschland. Die Gesetze vieler Bundesländer sehen vor, dass Asylbewerber in Lagern bleiben müssen, bis über ihren Antrag entschieden wird. Häufig dauert das Monate, manchmal Jahre. Solange dürfen sie nicht arbeiten. Sie bekommen stattdessen Geld vom Staat, mancherorts nur in Form von Gutscheinen, die sie in bestimmten Geschäften eintauschen können. Die Stadt duldet das Protestcamp vorerst, bald müssen die Asylbewerber erneut verhandeln, ob sie weiter machen dürfen.

Sie wollen sich frei bewegen können in Deutschland, arbeiten dürfen, erklärt Navid. Manche wollen Grenzen abschaffen und Nationalstaaten. Vor allem wollen sie, dass niemand illegal ist. So steht es auf den kopierten Flyern mit dichtgedruckter Schrift, die in einem der Zelte ausliegen. „Info-Point“ steht auf einem Banner, das über dem Eingang hängt. Navid sitzt gerne dort und erklärt Neugierigen, warum er im Camp ist. Meistens muss er lange warten, bis jemand fragt.

Er ist ein schmaler Mann mit eingefallenen Wangen, seine 32 Jahre haben graue Strähnen hinterlassen. Meistens starrt er vor sich hin. Nur wenn Navid darüber reden darf, dass er Teil einer Bewegung ist, demonstrieren geht und kritische Transparente trägt, glänzen seine Augen. Den Iran hat er verlassen, weil er genau das dort nicht durfte: seine Meinung sagen. Die iranische Internetpolizei hatte ihn festgenommen, als er aus seinem Austauschsemester in Deutschland zurückkam. Weil er sich im Internet mit Oppositionellen vernetzt und Kritisches getwittert hatte. Er spricht von Folter, wenn er erzählt, was die Polizei mit ihm gemacht hat. Warum er nach einem Monat gehen durfte, versteht er selbst nicht. „Mein Vater ist Anwalt, vielleicht deshalb.“ Oder wegen des gleichaltrigen Bloggers, der zur selben Zeit in einem Teheraner Gefängnis starb. Dass er dann auch noch mit dem Flugzeug ausreisen konnte, kann er eben sowenig erklären. Noch viel weniger aber, dass er in Deutschland kaum freier ist als zu Hause: „Ich verstehe, was mein Land bezweckt. Aber hier kann ich nicht verstehen, warum ich wieder die gleiche Angst haben muss.“ Navid verlässt das Camp nur selten, draußen könnte ihn die Polizei aufgreifen.

In einem der Zelte steht ein kleiner Ofen. Navid setzt sich davor, auf eine Matratze. Eigentlich schläft er immer auf der anderen Bettkonstruktion, dort an der gegenüberliegenden Zeltwand. Da sitzt aber schon einer seiner Mitbewohner und lacht über ein Video, dass er auf dem Handy abspielt. Warum, weiß Navid nicht. Die Männer sprechen verschiedene Sprachen. Navid lacht trotzdem mit, ihm ist es wichtig, Verbundenheit zu zeigen. „Unsere Bewegung darf nicht nur auf der Straße stattfinden“, sagt er. „Ich glaube, viel wichtiger ist es, dass sie auch hier stattfindet.“ Manchmal esse er ein Stück Wurst, um die Toleranz untereinander zu stärken, um zu zeigen, wie wichtig es ist, die Gewohnheiten anderer zu achten. Navid ist Vegetarier.

Am Ende des Tages sitzt Navid in einem blau-weiß gemustertem Zirkuszelt. Der Generator brummt, es riecht nach Diesel. Manchmal fällt er aus, dann ist es eine Weile dunkel im Lager. Zwei Mal pro Woche kommen alle zum Plenum in das Zelt. Lagebesprechung in einer Manege, nur fehlt den Protestierenden ihr Publikum. Schon lange haben sie es nicht mehr geschafft, auf sich aufmerksam zu machen. „Wie steht es um die Planung der nächsten Demonstration?“, fragt eine junge Frau ins Plenum. Keiner weiß etwas, ähnlich das Fazit der Gruppe, die sich um die Infrastruktur im Camp kümmert. „Wir konnten uns nicht auf ein Treffen einigen“, sagt eines ihrer Mitglieder. Nur einer, der sich um Rechtsangelegenheiten kümmert, hat etwas zu berichten: Manche Camp-Bewohner haben Schreiben von der Asylbehörde bekommen, erzählt er. Sie sollen Bußgelder zahlen, da sie sich unerlaubt aus ihren Asylheimen in Baden-Württemberg entfernt haben – um in Berlin gegen solche Regeln zu demonstrieren. Er glaubt an die Bewegung, flüstert Navid. „Wir sind doch so viele!“ Muss er auch, denn ohne das Camp ist er kein protestierender Flüchtling mehr. Sondern nur noch ein Illegaler.

Erschienen in Päng! No. 4