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Island aus der Salatkopfperspektive

Stundenlang Unkraut jäten, kiloweise Pilze sammeln – das klingt nicht nach dem, was man sich unter Ferien vorstellt. Doch manche Urlauber nähern sich einem Land lieber auf dem Kartoffelacker als im Museum. Ein Besuch auf einem isländischen Bio-Bauernhof.

Lisa lässt sich ausbeuten. Freiwillig. Mit hochgekrempelten Armen steht sie über die Rote-Beete-Pflanzen gebeugt. „Wir brauchen nur die etwa faustgroßen“, erklärt sie fachmännisch und bettet eine zu kleine Knolle zurück in die Erde. Es ist stickig im Gewächshaus, doch verglichen mit den 14 Grad draußen, im isländischen Nirgendwo, ist es angenehm warm.

Schon am darauf folgenden Tag bereiten Köche in den hochpreisigen Restaurants Reykjavíks, am anderen Ende des Landes, diese Rüben zu Delikatessen zu. Lisa wird sich dann wieder über Salate beugen, Pilze sammeln oder essbare Blüten verpacken. Und keinen Cent dafür bekommen.

Dabei ist die Studentin eigentlich Touristin. Fünf Wochen reist sie während ihrer Semesterferien durch Island, jetzt, nur wenige Tage vor ihrer Heimreise, arbeitet sie ein paar Tage als Freiwillige in Vallanes, einem Bio-Hof im Osten des Landes.

Während hierzulande über unter- oder unbezahlte Praktika und Studentenjobs diskutiert wird, bieten sich weltweit Menschen wie Lisa als freiwillige Helfer auf Bauernhöfen an. Alleine in Deutschland sind über 2000 von ihnen bei der Organisation WWOOF registriert, die Arbeitswilligen den Kontakt zu Bio-Höfen vermittelt – die Buchstaben stehen für den englischen Namen Worldwide Opportunities on Organic Farms.

Einige kommen immer wieder

Anstelle eines Gehalts bekommen Helfer Kost und Logis während ihres Aufenthalts – und unbezahlbare Erfahrungen, glaubt Jan, einer der ehrenamtlichen Organisatoren: „Wwoofer kommen, um am Leben auf dem Hof teilzuhaben, um Menschen und Lebensstile kennenzulernen, die anderswo nicht möglich wären“. Für einige Wochen werden sie Mitglied einer kleinen Selbstversorgerfamilie in Kanada, Kämpfer gegen das Unkraut im Garten einer alten englischen Lady oder Helfer bei der Weinlese in der Toscana – mit Glück heißt das vier Stunden am Tag arbeiten, die restliche Zeit faulenzen in der italienischen Sonne.

Auf die isländische Farm Vallanes kommen jährlich etwa 70 Wwoofer. Die meisten sind Studenten und junge Absolventen auf der Durchreise: Manche bleiben nur wenige Tage, andere Monate, einige kommen sogar immer wieder. Jahr für Jahr. Sie sind der Motor dieser Farm, denn neben den Eigentümern Eymundur Magnusson und seiner Frau gibt es nur einen isländischen Angestellten.

Dank der internationalen Besucher kann Eymundur Supermärkte, Restaurants und Bio-Läden im ganzen Land mit seinem Gemüse und vegetarischen Burgern beliefern. Er ist einer der größten Anbieter von Bio-Produkten in Island. Die Wwoofer pflegen seine Gemüserabatte, bauen Gewächshäuser oder kochen Chutneys – sechs Tage die Woche. „Natürlich könnte ich auch bezahlte Kräfte anstellen, dann wäre aber diese Produktvielfalt nicht möglich“, erklärt Eymundur sein Konzept. Daran, dass er damit Geld verdient, die anderen aber nicht, scheint ihn nichts zu stören.

Sechseinhalb Stunden Unkraut jäten

Eymundur will sein Angebot nicht zugunsten der Wirtschaftlichkeit reduzieren. Er ist nicht einfach bloß ein gewöhnlicher Bauer, der ein paar Salate verkauft. Er wolle Island gestalten, erklärt er im Gespräch immer wieder. So habe er beispielsweise eine Million Bäume gepflanzt, und das in einem Land, in dem spärliche Birkenhaine schon als Wald gelten.

Eymundur war einer der ersten Bio-Bauern im Land. Heutzutage versucht er, fast schon missionarisch, die Isländer von Gerste zu überzeugen. Und die Wwoofer von seiner Lebensphilosophie: Im Tausch für ihre Arbeit möchte er seinen Gästen, wie ein Familienvater seinen Kindern, etwas für ihr weiteres Leben mitgeben.

Um 8.15 Uhr sitzt Lisa jeden Morgen mit ihren Kollegen vor einer Schüssel Gerstenbrei und einer Scheibe selbstgebackenem Brot, während andere ihre Semesterferien am Strand verbringen und in Parks abhängen. Im isländischen Hochsommer sind es selten mehr als 14 Grad, öfter entleeren sich die tiefhängenden Wolken mit kleinen Nieselschauern.

„An manchen Tagen jäten wir schon mal sechseinhalb Stunden lang das Unkraut von den Feldern“, erzählt Geografiestudentin Lisa. „Aber es ist schon eine gute Gelegenheit, das Land aus einer anderen Perspektive als der klassischen Touristensicht kennenzulernen“, sagt sie und schiebt sich ein Stück von Eymundurs Gerstenbrot in den Mund.

Alexander, ihr Mitstudent und Reisepartner, pflichtet ihr bei, erwähnt aber auch eine andere Motivation: „Eine Woche lang nicht für Essen und Unterkunft zahlen zu müssen, schont das Reisebudget – außerdem sind unsere Salate und Suppen hier deutlich besser als Instant-Nudeln vom Camping-Kocher“, sagt der gelernte Koch.

Butterpilze für Reykjavík

Ähnliches hört man auch von anderen Wwoofern: „Einen Beitrag im Land leisten“, „Als Abwechslung zur Schreibtischarbeit etwas mit den Händen tun“, „Abends wissen, was man am Tag geschafft hat“. Dass durch sie ein Farmer Geld verdient, hektarweise Land kauft und expandiert, stört sie nicht. „Manchmal erscheint es mir sogar leichter, langweilige Arbeit wie Unkraut jäten zu verrichten, wenn ich dabei nicht im Minutentakt das Geld im Kopf zusammenrechne“, sagt Alexander.

Am Nachmittag schickt Eymundur Lisa und Alexander in den Wald. Ein Restaurant in Reykjavík hat fünf Kilo Butterpilze für den nächsten Tag bestellt. Zwei Stunden spazieren die beiden Deutschen zwischen den Bäumen hindurch und genießen das einzigartige Panorama isländischer Berge. Die Wolkendecke lässt an einigen Stellen die Sonne durchbrechen und färbt die Landschaft in ein Licht, das selbst für Postkarten zu kitschig wäre.

Am Abend wird es ein paar der Pilze zum Essen geben. Alexander malt sich aus, welche Sauce er dazu kochen könnte. Lisa erzählt auf dem Rückweg von einem Holzhaus, das sie bei einem anderen Wwoofing-Aufenthalt auf einer kanadischen Farm mit ihren eigenen Händen gebaut hat. Es ist ihr letzter Tag in Vallanes.

Als sie am nächsten Tag ihre Sachen packen, erreicht eine neue Helferin die Farm. Sie ist extra aus den USA gekommen, um zwei Wochen lang für Eymundur zu arbeiten. Danach fliegt sie direkt zurück nach Hause. „Ich muss dann wieder Geld verdienen – zum Leben“, sagt die Studentin und beginnt, Salat zu verpacken.

 

Erschienen auf Spiegel.de